saitn_kl.gifSAIT_NO3.GIF 29. Juli 1997

Feuilleton

Tempo

Über den Begriff der "Zeit". Peter Puskas übersetzt Antal Molnár.

Das lateinische "tempus" be- deutet "ZEIT". Der Begriff der Zeit stammt nun aber daher, daß sich ein Großteil der Ereignisse nicht auf einmal vollzieht, sondern nacheinander, aufeinanderfolgend, aneinanderreihend. Wenn zwischen zwei beobachteten Ereignissen genug "Platz" ist, empfinden wir das Tempo als langsam. Wenn die Wartezeit hingegen kurz ist, sprechen wir von einem schnellen Tempo. So hat sich nun die Menschheit allmählich angewöhnt, diesen ganzen Erscheinungskomplex unter dem sogenannten Begriff "ZEIT" einzuordnen, und sich die Zeit als wahrhaft existierend vorzustellen, so wie unsere Ahnen ihre Götter.

"Keine Zeit" – sagen wir dann, wenn wir bei einer dringenden Tätigkeit aufgehalten werden. "Komm dann, wenn ich nicht so beschäftigt bin, und mehr Zeit habe!" Obwohl es nur darum geht, daß man sich zwischen zwei Tätigkeiten keine Ruhepause gönnt, damit einem die Arbeit nicht unter den Nägeln anbrennt.

Abgesehen von der Fabriksarbeit, findet sich die empfindlichste Anwendung des obengenannten in der Musik. Empfindlich sage ich deshalb, weil das musikalische Tempo nicht nur in einzelnen Epochen von Bedeutung ist, sondern sich eben die Bedeutung der Angaben verändert. Zu Beethovens Zeit bedeutete "Allegro" noch bewegt, und die nachfolgenden Romantiker haben es schon als schnell angewendet. (Es besteht allerdings ein Unterschied zwischen einer schnellen Postkutsche, und ihrem Nachfolger, einem Schnellzug).

Zu Bachs Zeiten hatte "Presto" ungefähr die Bedeutung wie "Allegro" um 1800. Noch früher waren keine Tempobezeichnungen angegeben, man überließ das Tempo dem fachmännischen Vortragenden. Heute noch betonen bedeutende Musikkenner, daß ein Vortragender von gutem Geschmack aus dem Notenbild erkennt, welches Tempo er zu wählen hat (auch ohne Tempoangaben) Dies ist in vollem Ausmaß verständlich, wenn man an große Redner (Schauspieler) denkt. Ein Gedicht besitzt auch keine Tempoangaben, und trotzdem ist sich ein fähiger Schauspieler im Klaren, wann er in seinem Vortrag "anziehen" muß.

Das Wort-Nacheinander einer Prosa oder eines Gedichtes unterscheidet sich nun aber nicht im geringsten vom Ton-Nacheinander eines Musikstückes, zumindest was die Beweglichkeit oder Ruhe des Ablaufes angeht. Wie wir nun wissen, hängt dies eng mit dem Sinn der Schöpfung (des Werkes) zusammen. Wenn sich nun der Vortragende im Tempo "vergreift", so verfälscht er den Charakter des Werkes. Hauptsächlich aus diesem Grund teile ich diese wenigen (und vielleicht überflüssigen) Gedanken mit: um zu sagen, daß ein unangebrachtes Tempo – eine Fälschung ist. – Die leider strafrechtlich nicht verfolgt wird! ¨

Antal Molnár (1890 - 1983)

Ungarischer Musikwissenschaftler, Komponist, Pädagoge, Bratschist beim Waldbauer Streichuartett; sowie beim Dohnány - Hubay Klavierquartett; von 1919 -1959 Unterricht an der Franz-Liszt-Akademie in Budapest (Musikgeschichte, Ästhetik, Kammermusik, Theorie). Gilt als einer der Begründer der modernen ungarischen Musikwissenschaft und Musikpädagogik. Zahlreiche Schriften auf dem Gebiet der Musikgeschichte, der Musikästhetik (auch unter Miteinbeziehung von soziologischen und psychologischen Aspekten). Zahlreiche Kompositionen für Orchester, Kammermusik, Chorwerke und Instrumentalkonzerte.

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