. . . . . . . . . . 29. Juli 1997 . . . . . . . . . .
Musikgeschichte
"Der Mozart des 19. Jahrhunderts" Felix Mendelssohn Bartholdy zum 150. Todestag. Versuch einer Würdigung von Veronika Großberger |
Angesichts der Häufung von Todes- und Geburtstagen zahlreicher bedeutender Musikerpersönlichkeiten in den 90er Jahren ecken die kulturellen Institutionen an: In welcher Weise kann ein Komponist gewürdigt, gefeiert werden? Ausstellungen können nie das vermitteln, was die Musik vermittelt, die -zigfachen neuerschienen Bücher bilden eine Zusammenfassung von schon längst Gesagtem. Und um die Senationsgier der Menschheit gerecht zu werden ist Schubert und sein gesamter Freundeskreis plötzlich schwul und –wußten Sie es noch nicht? – Brahms hatte ein Verhältnis mit Clara Schumann.
Aber warum erzähle ich das alles? Weil die Hierarchie der “Würdigung” immer folgendermaßen aussieht: An erster Stelle steht Schubert, dann kommt Brahms und zuletzt – fast hätte ich´s vergessen – Mendelssohn. Während Musik und Leben der beiden ersteren in aller Munde ist, fällt Mendelssohn, man ist es inzwischen gewohnt, unter den Tisch. Dabei wäre der 150. Todestag des Komponisten ein Anlaß sich seinem umfangreichen und vielseitigen Schaffen, angefangen bei den berühmten, für die Romantik zum Symbol gewordenen “Liedern ohne Worte” bis hin zu den groß angelegten Oratorien “Paulus” und “Elias”, zu widmen.
Mendelssohn nimmt zweifelsohne eine Sonderstellung in der Musikgeschichte ein: Oft wird ihm die direkte Nachfolge der Klassiker nachgesagt, wohl auch aufgrund der legendär gewordenen Aussage Robert Schumanns, Mendelssohn sei der Mozart des 19. Jahrhunderts. Aber andererseits befindet er sich schon in einer der Romantik tief verhafteten Zeit: Er entstammt einer aristokratischen, deutsch-jüdischen Familie, in der das humanistische Bildungsideal verwirklicht zu sein schien. Die Kinder hatten sich einer strengen, geradezu spartanischen Erziehung zu unterziehen, die den Komponisten in seiner späteren Arbeitsweise und in seiner geistigen Haltung stark beeinflußte. Mendelssohn wuchs zusammen mit seinen drei Geschwistern in einem Elternhaus auf, das für viele berühmte Persönlichkeiten offenstand: Chopin, den Brüder Schlegel, Schleiermacher, Heine und Bettina von Arnim. Es ist kein Wunder, daß Mendelssohn in diesem Kreis von Intellektuellen viele Anregungen erhielt.
Über seinen Lehrer und Mentor Friedrich Zelter lernte der junge Mendelssohn auch Johann Wolfgang von Goethe kennen, mit dem ihn eine wahrhaft innige Beziehung verband, aus der beide Seiten großen Gewinn gezogen haben. Mendelssohn hat sich zum Beispiel intensiv darum bemüht, den musikalischen Horizont des Dichters zu erweitern. So führte er ihm Bach und Beethoven (dessen Musik Goethe einmal als “Lärm” bezeichnet haben soll) näher. In einem Brief schreibt der begeisterte Mendelssohn: “Goethe ist so freundlich und liebevoll mit mir, daß ich‘s gar nicht zu danken, und zu verdienen weiß. Vormittags muß ich ein Stündchen Clavier vorspielen, von allen verschiedene großen Componisten, nach der Zeitfolge, und muß ihm erzählen, wie sie die Sache weitergebracht hätten.”
Mendelssohn und Bach
Ein wichtiges Verdienst Mendelssohns war es, die Werke Bachs wieder in das Licht der Öffentlichkeit zu rücken. Bach war damals – heute kaum vorstellbar – durch die großen Klassiker Haydn, Mozart, Beethoven völlig verdrängt und vergessen worden. Auf Anregung eines Freundes hin (Friedrich Zelter), begann Mendelssohn sich mit dem Schaffen des großen Bach zu beschäftigen. Bereits im Alter von 14 Jahren (!) wünschte er sich zu Weihnachten eine Partiturabschrift der Matthäuspassion und studierte diese sofort mit Begeisterung. Im Alter von 20 Jahren (11. März 1829) führte er dieses Werk das erstemal mit größtem Erfolg auf und setzte sich daraufhin unermüdlich für das Schaffen dieses Komponisten ein. Mendelssohn bewirkte durch die zahlreichen Aufführungen eine wahre “Bach-Renaissance”.
Der Komponist
Welche Werke sind uns von Mendelssohn vertraut? Wenn man ein kurzes “brainstorming” einlegt beginnt man vielleicht beim “Sommernachtstraum” oder bei den “Liedern ohne Worte” – stutzt eine Weile – und erinnert sich dann doch noch an den “Elias” und ein paar Symphonien (“Reformationssymphonie” und “Italienische Symphonie”). Fast hätte ich das allseits beliebte Violinkonzert in e-moll, op. 64 vergessen. Dann ist der durchschnittlich gebildete Bürger schon am Ende. Daß aber Mendelssohn unzählige Werke geschrieben hat, darunter wunderbare Kammermusik (Klavierquartett in f-moll, op.2, Oktett in Es-dur, op.20) zahlreiche Klavierkonzerte sowie Chorwerke (zum Beispiel Vertonungen von Psalmen), ist nur wenigen bekannt. Im Falle des 150. Todestages von Felix Mendelssohn-Bartholdy wäre die Würdigung eine sinnvolle: die Wiederlebung und -aufführung seiner Werke, so wie er einst selbst die Werke Bachs der Öffentlichkeit nähergebracht hat.
Buchtip: Arnd Richter: Mendelssohn. Leben–Werke–Dokumente, Mainz: Schott's Söhne 1994.