. . . . . . . . . . 29. Juli 1997 . . . . . . . . . .
Neue Musik
"...fast nur Quartenakkorde"
Drei junge zeitgenössische Komponisten im Interview.
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Könnt ihr unseren Lesern zu Beginn etwas über euren musikalischen Werdegang und die Entwicklung eurer Tonsprache erzählen?
Johannes M. Staud: Ausgehend von Stravinsky und Prokofieff habe ich mich immer mehr für avanciertere Tonsprachen begeistert. Ein großes Erlebnis war die Auseinandersetzung mit der Musik von Xenakis und Boulez, und von da an bin ich dann wieder zu einer Sprache gekommen, die überhaupt nicht tonal ist, aber sehr auf Emotionalität fußt. Für mich ist aber auch die geschlossene Form schon von Bedeutung, wie im Mahler´schen Oeuvre, dieser irrsinnige Bogen, der ein Stück wirklich zusammenhält. Ich will, wenn ich hier einen Ton schreibe, daß ich weiß, es kann nur dieser Ton sein, daß ich wirklich ganz etwas Zwingendes habe.
Bernd R. Deutsch: Das früheste, das mir dazu einfällt: ich war sechs und habe das erste klassische Stück gehört, das war die kleine Nachtmusik und habe mir gedacht, das mach´ ich auch einmal, ich werde Komponist – aber ich habe das dann unmittelbar nicht weiterverfolgt. Im Alter von 15 Jahren habe ich dann gleich nach der ersten Klavierstunde begonnen, etwas zu schreiben. Gibt es in deiner Entwicklung irgendwelche markanten Brüche oder Sprünge? Nein, das war eher eine kontinuierliche Entwicklung, ein Nachvollziehen der Musikgeschichte; dann war das große Erlebnis Alban Berg, da hab ich den "Wozzeck" gehört, das war der Eintritt ins 20. Jahrhundert, von da an gab´s dann schon einige beeindruckende Komponisten, z.B. früher Stockhausen in den 50er Jahren.
Reinhard Fuchs: Ich bin eigentlich ziemlich spät zum Komponieren gekommen. Mit neun oder zehn Jahren hab ich Akkordeon gelernt und durch meine Lehrerin eigentlich recht früh Zugang zu modernerer Musik bekommen, sie hat selbst viel zeitgenössische Musik gespielt und das auch in den Unterricht eingebracht. Mich hat diese Musik von Beginn an eigentlich sehr interessiert, es war für mich unheimlich spannend, diese Musik zu spielen. Das ausschlaggebende Stück war der Feuervogel von Igor Strawinsky, da hab ich dann einfach gewußt, das will ich auch machen. Ich hab' dann eigentlich erst mit siebzehn zu komponieren begonnen und ich habe dann auch einen sehr guten Lehrer gehabt, bei dem ich Klavier und dann auch Komposition studiert habe, ich hab' dann auch gleich sehr viel geschrieben und auch größere Sachen. Fasziniert war ich zu dieser Zeit von Strawinsky, auch von Boulez und der Zweiten Wiener Schule. Ich war auch sehr begeistert von der Musik von Hindemith, diese typischen Quartenakkorde, von denen war ich fasziniert und hab' eine zeitlang fast nur Quartenakkorde geschrieben.
Wie würdet Ihr die Entstehungsgeschichte eines Stückes, den Weg von einer “Idee” zur endgültigen Fassung skizzieren?
Fuchs: Das ist ganz verschieden. Manchmal ist es vielleicht so, daß du eine Idee hast, eine oft sehr vage Idee, und dann überlegst du, wie kannst du die Idee realisieren, mit welchen Instrumenten, oder es ist umgekehrt, daß du von irgendeiner Besetzung fasziniert bist, und du willst dafür etwas schreiben und dann kommt eine Idee für diese Besetzung.
Staud: Auf der einen Seite ist es interessant, einfach ins Blaue zu schreiben, ausgehend von einer ganz kleinen Idee, wo noch ganz offen ist, wohin sich das formal entwickeln wird, auf der anderen Seite ist es oft so, daß man eine Inspiration bekommt, aus einem Buch oder einem Bild und sagt: ich will genau so einen formalen Bau haben, und dann beginnt, sich ein bißchen ein Konzept auszuarbeiten, eine Landkarte, wo noch vieles unentdeckt und unerforscht ist und man dann versucht die Flecken, die noch weiß sind, langsam auszufüllen. Es ist natürlich beim Ins-Blaue-schreiben zuviel Freiheit da, während man umgekehrt leicht in einen Schematismus verfallen kann...
Fuchs: ...ich würde gar nicht sagen, daß du, wenn du "ins Blaue" schreibst, mehr Freiheit hast!
Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit den Musikern, mit den Interpreten Eurer Stücke?
Fuchs: Die Aufgabe des Interpreten ist ja eigentlich die, das Stück neu zu schaffen. Der Komponist liefert das Stück in einer Art Symbolschrift, und die Aufgabe des Musikers ist es, das zu entziffern, diesen Weg nachzugehen; aber wenn sich der Interpret nicht damit identifizieren kann und Arbeit investieren will, kann daraus nicht viel werden.
Deutsch: Das Problem liegt ja auch in der Ausbildung der Instrumentalisten. Das ist ein alter Hut, aber wenn ich einem Cellisten sage, col legno zu streichen, kommt oft die Rückmeldung: was soll denn das, das klingt ja nach nichts! Aber es soll ja auch kein schöner Celloton wie bei Dvorák sein, aber es kommt oft, weil es in der Ausbildung wenig Stellenwert hat.
Fuchs: Bei der zeitgenössischen Musik können die meisten nicht unterscheiden, ob jetzt das Stück schlecht ist, oder ob es schlecht gespielt ist. Meistens war dann das Stück schlecht.
Staud: Aber wenn ein Musiker sehr gut und sehr musikalisch mit viel Gefühl Schubert oder Beethoven spielt, dann ist es überhaupt kein Problem, daß er sich an zeitgenössische Musik gewöhnt. Ich glaube, das Wesentliche ist der prinzipielle Gestaltungswille.
Wie würdet ihr eure Kompositionen kurz charakterisieren? Vielleicht könnt ihr versuchen, diese Frage auch in bezug auf das Stück Eurer Kollegen zu beantworten?
Staud: Es ist besonders interessant, weil beide (R. Fuchs und B. Deutsch) eine Vorstellung haben, die sehr von Klangfarben getragen ist. Ganz global gesehen würde ich sagen, Bernd schreibt noch ein bißchen wilder und ungestümer, und Reinhard etwas mehr auf der sanfteren Seite, etwas ruhiger.
Über Johannes Staud haben wir jetzt noch nichts gehört...
Fuchs: Er ist ein Typ, der irrsinnig kräftige und brutale Musik schreiben will..
Deutsch: ...emotionelle Musik...
Fuchs: ...nicht nur. – Jede Musik ist irgenwie emotionell; was mich am Johannes fasziniert sind die Farben, die er entwickelt. Ich kenne z.B. sein Klavierstück sehr gut, das ist von den Farben, die er kreiert, von der Gestik sicher mein Lieblingsstück von ihm.
Wo und wann gibt es in nächster Zeit Werke von Euch zu hören?
Fuchs: Johannes und ich sind Mitglieder einer Komponistengruppe mit dem Namen Gegenklang, wir haben im Juni das Gründungskonzert gehabt und planen für November 1997 die nächsten Konzerte. Für nächstes Jahr kommen dann größere Projekte in ganz Österreich, aber fixe Termine gibt es leider jetzt noch nicht. Deutsch: Im Jänner 1998 wird es ein Portrait in der "Alten Schmiede" geben und vielleicht noch einige andere Konzerte mit Kollegen. Für viele – durchaus interessierte – Konzertbesucher sind die Werke von Komponisten wie Bartòk oder Schönberg immer noch das erste oder einzige, das ihnen zum Thema Moderne Musik einfällt. Wie wird aus Eurer Sicht die wirklich zeitgenössische Musik vom Publikum aufgenommen?
Deutsch: Auch bei großen Festivals, wie bei "Wien Modern", sieht man immer die selben Leute – Das ist eine kleine Gemeinde von vielleicht tausend Personen.
Staud: Das ist für mich oft ein bißchen frustrierend, aber hier wäre vielleicht eine Chance, mit verschiedenen Kunstrichtungen, mit modernem Tanz oder Lyrik zusammenzuarbeiten, um neues Publikum anzusprechen. Es gibt, glaube ich, ein großes Potential an Menschen, die dafür offen wären, die aber erst einmal dahin gebracht werden müßten. Unser Problem ist: Wie kommen wir an den Mann? – Ich glaube, daß da sehr viel falsch gelaufen ist mit diesen typischen engen, steifen Konzertsituationen. Ich sehe das noch als ein Überbleibsel aus der Spätromantik. Es ist vielleicht auch ein Problem, daß wir uns in unserem Elfenbeinturm zu wohl fühlen.
Fuchs: Genau da versuchen wir mit unserer Gruppe Gegenklang gegenzusteuern, aus diesem Fahrwasser herauszukommen und interessierten Menschen einen Zugang zu unserer Musik zu öffnen.
Deutsch: Man darf sich aber auch keiner Illusion hingeben, was die Breitenwirkung betrifft, viele Dinge sind für ein größeres Publikum einfach nicht nachvollziehbar.
Fuchs: Dieser Meinung kann ich mich nicht anschließen – es ist sicher möglich, interessierten Leuten einen Zugang zu dieser Musik zu ermöglichen und wir haben diese Erfahrung, z. B. bei Gesprächskonzerten durchaus auch schon gemacht, und gerade auch bei Kindern ist das sehr leicht.
Aber gerade für Kinder und Jugendliche gibt es – vor allem in der Kammermusik – fast überhaupt keine Literatur, um sie zur zeitgenössischen Musik hinzuführen...
Fuchs: Das ist sicher auch (noch) ein Problem der mangelnden Nachfrage...
Staud: Es wäre für uns sich sehr interessant, für unser “Publikum von morgen” Stücke zu schreiben – und es wäre vor allem auch eine interessante Erfahrung für den Komponisten, wie weit man im Schwierigkeitsgrad zurückgehen und dabei trotzdem noch das Wesentliche vermitteln kann.
Deutsch: Das wäre sicher eine interessante Herausforderung für uns...
Wir hoffen, daß Ihr diese Herausforderung annehmen werdet und danken für das Gespräch.
Reinhard Fuchs, geb. 1974. Studium Akkordeon, Klavier und Komposition in Linz u. Wien; Meisterkurse u.a. bei B.Ferneyhough und M. Stroppa; 2. Preis beim österr. MHS-Kompositionswettbewerb für "Nachtklänge"; Mitbegründer des Kompositionsforums "Gegenklang".
Bernd Richard Deutsch, geb. 1977. Studium Komposition, Harmonielehre und Kontrapunkt in Wr. Neustadt u. Wien; Zahlreiche Preise, u.a. 2. Preis "Biennale Neue Musik Hannover 1997".
Johannes Maria Staud, geb.1974. Studium Komposition, Philosophie u. Musikwissenschaft in Wien; Meisterkurse bei B. Ferneyhough u. A. Pinos; Mitbegründer des Forums "Gegenklang".