Was wäre ein Wiener ohne seinen Wald, ein Spanier
ohne Gibraltar oder ein Irländer ohne “The Cliffs of Moher”? An den Rändern Europas: Über “Wien modern
1998” von Veronika Großberger
Ränder trennen zwei Bereiche, oder anders gesehen, unterbrechen
ein Kontinuum. Ränder schließen ab, beschützen uns vor
der Unendlichkeit, diesem unbehaglichen Gedanken, Ränder sind eine
Hilfe für Unvorstellbares.
Es reizt aber auch, über einen Rand hinwegzublicken,
die zweite, die andere (metaphysische) Seite zu entdecken. Den Rändern
ist eine Ambivalenz und Spannung immanent, die sich durch das “Dazwischen-sein”,
das "Interesse", ergibt. Das Interesse aber wiederum erfordert ein “Bei
sich sein”, ein Konzentrieren des Menschen, um die Zweigleisigkeit, die
Diametralität, vielleicht aber auch das Verschmelzen von Rändern
zu einem Ganzen zu begreifen.
Manchmal hat man das Gefühl, daß für
viele Wiener der Rand Europas bereits am Gürtel beginnt und alles,
was darüber hinausgeht, schon zum Orient gehört.
Aber nein, in Wirklichkeit ist ja Wien “anders”, weltoffen
und tolerant. Deswegen gibt es im “Kulturzentrum Wien” auch seit Jahren
(bereits zum 11.Mal) das Festival “Wien modern”, das keineswegs mehr zu
den Randerscheinungen des Wiener Kulturlebens zu zählen ist. Das vierwöchige
Festival hat sich zum Anziehungspunkt für Neugierige und Entdeckungsfreudige
entwickelt und zieht inzwischen ein sehr buntes, anspruchsvolles Publikum
an, das keineswegs einen elitären Anspruch erhebt.
Der äußerst spannende Ansatz des Festivals,
die Ränder Europas musikalisch ins Rampenlicht zu stellen, birgt eine
Fülle an einzelnen Komponistenpersönlichkeiten in sich, die einer
eingehenderen Betrachtung wert wären.
So schreitet der Besucher die Ränder Europas ab,
gebietet sich immer wieder Einhalt, wenn die Neugier zu größerem
Interesse erwächst und läßt den “Anhaltspunkt” zum Zentrum
werden. Galina Ustwolskaja und Sofia Gubaidulina, Christóbal Halffter
und Jani Christou sind nur eine geringe Auswahl der Musikerpersönlichkeiten,
die es hier zu entdecken gilt.
Spanien und Irland, Griechenland und Lettland rücken
einander näher, allein dadurch, daß sie trotz aller Gegensätze
und individueller Charakteristik nebeneinander stehen, uns vergleichen
lassen, Gemeinsamkeiten und Konnotationen erforschend, aber nichts Eigenständiges
überdeckend.
Wien modern 1998 fand vom 31. Oktober bis zum 30. November
im Konzerthaus und Musikverein statt.
Nachsatz: Wer gedacht hat, daß Österreich
auch nur annähernd im Zentrum Europas liegt, muß enttäuscht
werden. Der Wien Modern Almanach belehrt uns eines Besseren: Der geographische
Mittelpunkt Europas liegt in Litauen!!!!! ¨