Artes Iuventutis
Offene Ohren
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Für das diesjährige Jugendmusikcamp Edlitz
konnte die Komponistengruppe GEGENKLANG dafür gewonnen werden, exklusiv
für die jungen Musiker neue Werke zu schreiben, die während dieses
Kurses erarbeitet wurden und auch teilweise in den Konzerten zur Uraufführung
gebracht wurden. Der über-raschend große Erfolg dieses Projekts
läßt hoffen, daß auch beim nächsten Ferienkurs wieder
junge und zeitgenössische Musik zu hören sein wird.
Von Gerald Resch |
Für junge Musiker zu komponieren bedeutet eine doppelte
Herausforderung insofern, als der schmale Grat, der zwischen Überfordern
und Unterschätzen liegt, nicht leicht zu finden ist. Wenn Komponisten
ihre Werke zur Aufführung bringen, sind sie bereits im Rahmen des
Studiums – durchwegs mit sogenannten „professionellen“ – Musikern konfrontiert.
Diese Professionalität hat allerdings den Nachteil, daß das
Engagement und Interesse an der zu spielenden Musik oft zu kurz kommt.
Es gibt viele professionelle Musiker, die jedes Detail im Notentext zwar
bereits beim ersten Durchspielen erfassen und umsetzen können, dabei
aber keinen Deut mehr an Hingabe und Persönlichkeit einbringen als
sie – per Dienstvertrag geregelt – einzubringen verpflichtet sind (was
in jedem Fall zuwenig ist).
Bei jungen, „nicht-professionellen“ Musikern kann man
– im besten Fall – genau das Gegenteil erfahren: von Natur aus offener
und neugieriger als mehr oder weniger unmotivierte Musizierbeamte, sind
sie meiner Erfahrung nach gerne bereit, Neues auszuprobieren und dabei
die eigene Persönlichkeit miteinzubringen. Auf diese Bereitschaft
zur Offenheit muß man als Komponist in besonderem Maße eingehen,
ohne freilich zu vergessen, wo die natürlichen spieltechnischen Grenzen
eines begabten jungen Musikers liegen.
Hartnäckiges Erüben schwieriger Musik, die
auf den ersten Blick unspielbar erscheint, vermag unter Umständen
durchaus Energien eines Musikers freizusetzen, von denen er selbst überrascht
ist. Ähnlich wie beim Spitzensport ist es eine große Genugtuung,
scheinbar Unmögliches durch Überwinden der eigenen Grenzen doch
zu erreichen.
Um aber junge Musiker für ein Stück Neuer Musik
zu gewinnen, ist es meines Erachtens sehr wichtig, ein unmit-telbareres
„Erlebnis“ zu vermitteln: Solch ein Erlebnis kann sein, durch neuartige
Spieltech-niken dem eigenen Instrument Klänge abzugewinnen, die man
noch nie gehört hat, die aber trotzdem eine Art von Schönheit
vermitteln (Schönheit muß nicht immer nur das sein, was man
bereits kennt: es gibt auch rauhe Schönheit, wilde Schönheit,
fremde Schönheit...). Oder gruppendynam-ische Abläufe, die sogar
aus dem Alltag vertraut sind, zu erfahren und zu durchschauen, indem in
Musik verschiedene „Lösungsmöglichkeiten“ durchgespielt werden.
Ein Beispiel: alle spielen im selben milden Gestus, nur
einer versucht beharrlich, sich durch seine eigenen aggressiven Melodielinien
in den Vordergrund zu drängen und die Ruhe zu stören: wie reagiert
die Gruppe auf den Ausreißer? Ignoriert sie ihn? Läßt
sie sich von ihm irritieren? Kann sie ihn überzeugen und für
sich gewinnen?
Jeder, der jemals im Supermarkt genervt an der Kasse
gewartet hat, kennt die Situation und wird imstande sein, ein Musikstück,
das an diese Alltagssituation erinnert, zu verstehen. Durch das Fehlen
einer allgemeingültigen musikalischen Grammatik, wie sie etwa in der
Zeit Beethovens noch selbstverständlich gewesen war, ist Neue Musik
viel besser als irgendein Stil früherer Zeiten imstande, musikalische
Situationen wie die hier skizzierte auszudrücken.
Wenn es gelingt, zu vermitteln, daß zeitgenössische
Musik – auch oder gerade weil sie von ungewohnten Zusammenklängen
Gebrauch macht – von uns Zeitgenossen unmittelbar erlebt und in Zusammenhang
mit eigenen Erlebnissen gebracht werden will, beginnen sich die Ohren zu
öffnen. Nur da, wo es offene Ohren gibt, kann etwas Gemeinsames entstehen.
Es ist eine der schönsten und wichtigsten Erfahrungen, gemeinsam,
indem jeder seinen besten Teil –seine Persönlichkeit – einbringt,
etwas Neues entstehen zu lassen.
In diesem Sinne sollen diese Zeilen ein Plädoyer
für Neue Musik sein. Sie schafft es, aufmerksam zu machen, und Aufmerksamkeit
ist die Voraussetzung dafür, sich gegenseitig zu verstehen und einander
näher kommen zu können. Worauf es dabei ankommt, ist in zwei
Worten gesagt: offene Ohren.