Soundscape
Wie bitte?
So lautet die häufigste Reaktion auf die Frage nachmeiner Tätigkeit. Wenn ich daraufhin wiederhole, daß ich michmit Musikwahrnehmung im geschädigten Gehör beschäftige,so artet dies meist in Gelächter aus, wobei manchmal ein leicht besorgterBlick meines Gesprächspartners nicht zu übersehen ist. Zugegeben:die Frage nach einer Wiederholung des Gesagten kann auf inhaltliche Unverständlichkeitbzw. schlechte Artikulation meinerseits zurückzuführen sein,aber es bleibt unüberhörbar, daß – aus welchen Gründenauch immer – Gesprochenes häufig nicht auf Anhieb verstanden wird.Von Bernhard Laback So leistungsfähig und sensibel unser Gehör auchist (wie im Bericht von P. Wilscher und W. Goebl in saitenweise Nr.2/1997 beschrieben wurde), so anfällig ist es gegenüber Schädigungen,die aus traumatischen Verletzungen, genetischen oder medikamentösenEinflüssen und – weitaus am häufigten – aus akustischer Überreizungresultieren. Sind die drei erstgenannten Ursachen schicksalshaft vorbestimmt,so können wir akustische Überreizung meist selbst verhindern,da sie im Großteil der Fälle an Orten und in Situationen auftritt,in die wir uns freiwillig begeben. Als Beispiele seien hier Diskotheken,Walkmanexzesse oder elektroakustisch verstärkte Konzerte genannt.Da diese Zeitschrift primär musikalisch interessierte Leser und dahermeist auch praktizierende Musiker anspricht, wird hier auf eine weiterepotentielle Gefahr näher eingegangen: die dauerhafte Überstrapazierungdes Gehörs mit zu lauten Schallpegeln beim Instrumentalspiel. |
Aus Untersuchungen ist bekannt, daß Musizieren beizu hohen Schallpegeln und über lange Zeit hinweg irreparable Beeinträchtigungender Hörleistung bewirken kann. Besonders gefährlich sind natürlichlaute Instrumente wie Blechblasinstrumente oder Schlagwerk. Aber auch dervon einer Geige abgestrahlte Schalldruck, der besonders stark auf das linke,der Geige nähere Ohr einwirkt, kann zu dauerhaften Hörverlustenführen. Im Orchesterspiel sind wiederum diejenigen Musiker besondersgefährdet, die im direkten Schallabstrahlungsbereich der lauten Instrumentepositioniert sind. In der üblichen Orchesteraufstellung trifft diesesSchicksal vor allem die vor den Blechbläsern sitzenden Holzbläser.
Um übereiltes Entsetzten zu vermeiden, wird gleichan dieser Stelle angemerkt, daß: 1. potentielle Schädigungenmit geringem Aufwand vermieden werden können, und 2. bereits erlitteneSchädigungen durch Musikausübung zwar einen Verlust an Sensitivitätbedeuten können, aber nicht automatisch eine starke Beeinträchtigungund die Verordnung eines Hörgerätes zur Folge haben. Um beurteilenzu können, welche Schallquellen „gefährliche“ Pegelwerte abstrahlen,wird der an das Ohr gelangende Schalldruck mittels Schallpegelmessern quantifiziert,und mit empirisch ermittelten Grenzwerten verglichen. Dabei ist die Einwirkungsdauerein wichtiger Faktor, d. h. das Gehör ist nur bei kurzzeitig hoherBelastung in der Lage, sich wieder zu regenerieren. Abbildung 1 zeigt inder oberen Skala verschiedene Pegelwerte in dB(A), und in der unteren Skaladie entsprechenden, höchstzulässigen Einwirkungszeiten in Stundenbzw. Minuten pro Woche (siehe Abbildung 1).
Abbildung 1: maximal zulässige Einwirkungszeit bei verschieden lautenSchallpegeln, bevor Hörschäden auftreten
Bei einer Blasmusikprobe in einem Schulzimmer werden zumBeispiel 90 - 95 dB(A) erreicht, bei Blechblasinstrumenten, Schlagzeugoder einer Violine alleine können aber genauso hohe, und im Falledirekter „Bestrahlung“ sogar noch höhere Werte erreicht werden. EinVergleich mit der Tabelle zeigt, daß Musizieren unter den oben genanntenBedingungen nur bis zu ca. 10 Stunden pro Woche risikolos möglichist. Im Vergleich dazu erreichen Rockkonzerte mittlere Schallpegel von100-115 db(A) im Zuhörerbereich, und können somit schon bei sehrkurzer Dauer gefährlich sein. Dieses Beispiel soll aber nicht diezuvor genannten Verhältnisse beim aktiven Musizieren mit unverstärktenInstrumenten relativieren, sondern vielmehr deren besondere Schädlichkeitbetonen.
Welche präventiven Maßnahmen kann man nun ergreifen?Im Musikfachhandel sind speziell für bestimmte Instrumententypen entwickelteGehörschutzpfropfen erhältlich, die den ans Ohr gelangenden Schalldruckpegelum 15-30 dB reduzieren, aber den jeweiligen Instrumentenklang möglichstwenig verfälschen. Worin bestehen die physiologischen und perzeptivenAuswirkungen bei Nichtbeachtung? Die klangliche Charakteristik der Schallquellebestimmt bis zu einem bestimmten Grad die Charakteristik der Hörstörung:jene Frequenzbereiche, die mit besonders hohem Pegel an das Innenohr übertragenwerden, sind in Folge am stärksten von der Schädigung betroffen.
Abbildung 2: Audiogramm, handgezeichnet. Normalhörender (durchgezogeneLinie),
mittelgradig Hörgeschädigter (gestrichelte Linie)
Physiologisch wirkt sich die Schädigung in der Degenerierungbzw. dem Absterben der Haarzellen aus, die für diese Frequenzbereicheverantwortlich sind. Der Verlust an Sensitivität in den verschiedenenFrequenzregionen wird mittels einer Audiogrammessung erfaßt.
Abbildung 2 zeigt das Audiogramm eines Normalhörenden(durchgezogene Linie) und eines mittelgradig Hörgeschädigten(strichlierte Linie). Auf der Abszisse sind die Frequenzen zwischen 125und 8000 Hz eingetragen, und auf der Ordinate der Hörverlust in dB.Jede Abweichung der Kurve von der 0 dB-Linie am oberen Rand nach untenbedeutet einen Hörverlust im entsprechenden Frequenzbereich. Zu diesemsogenannten Audiogramm-Hörverlust ge- sellen sich in vielen Fällennoch weitere Verschlechterungen in der Gehörleistung. Beispielsweiseist die Fähigkeit reduziert, die einzelnen Frequenzkomponenten einesInstrumentenklanges zu separieren, wodurch die Klangfarbenwahrnehmung verändertist. Auch können die einzelnen Instrumente eines Orchesters schlechterherausgehört werden. Fast immer sind auch die empfundenen Lautstärkeverhältnissezwischen den lauten und leisen Stellen in einem Musikstück verfälscht.
Abbildung 3: Audiogramm. Würden die Linien den abgesetzten Bereichlinks unten
(ab 40 dB und bis 3000 Hz) schneiden, würde das erhebliche Hörschäden
bedeuten (d.h. z.B. einem Gespräch nur mehr schwer folgen können!).
Dunkler Bereich rechts oben: Hörverlust bei einer zehnjährigen
Lärmbelastung von durchschnittlich 95 dB.
Um einen Eindruck von diesen Verschlechterungen zu bekommen,können die folgenden Klangbeispiele aufder saitenweise-Homepage aufgerufen werden, die den Klangeindruck von 2Musikexzerpten im geschädigten Gehör simulieren.
J.S.Bach: aus der h-Moll-Messe:
Audio-File (.wav; ca. 894KB) | RealAudio (28.8 modem) | RealAudio (ISDN-Modem) |
Dave Grusin: punta del sol:
Audio-File (.wav; ca. 1,3MB) | RealAudio (28.8 modem) | RealAudio (ISDN-Modem) |
(immer zuerst original, dann aus der „Sicht“ des Hörgeschädigten.)
Um die Effekte möglichst hervorzuheben, wurden mittelgradigeHörverluste von ca. 40-50 dB ausgewählt. Bis zum Erreichen solcherHörverluste müßte ein Musiker allerdings schon sehr langeund laut ohne Gehörschutz üben. Auf die Wahrnehmung von Sprachehat ein derartiger Hörverlust ebenso schwerwiegende Auswirkungen wiebei Musik. Besonders beeinträchtigt ist die Verständlichkeitvon Sprache dann, wenn im Hintergrund Störgeräusche auftreten.
Es bleibt zu hoffen, daß Ihr Euer Gehör hochgenug schätzt, um die Worte „Wie bitte?“ auch in Zukunft nicht zuden von Euch am häufigsten gestellten Fragen zählen zu müssen.
Literatur: Feldmann,H., Kumpf, W. (1988): Musikhören bei Schwerhörigkeit mit undohne Hörgerät, Laryng. Rhinol. Otol. 67, 489-497. Hohmann, B.W. (1996): Musik und Hörschäden, Informationsbroschüre derSUVA (Schweizerische Unfallversicherungsanstalt), Luzern. Laback, B. (1998):Effekte der Simultanmaskierung auf die Musikperzeption bei sensorineuralenHörschäden und ihre Anwendung für Signalverarbeitungsalgorithmenin Hörgeräten, Dissertation, Universität Wien.
Bernhard Laback studierteMusikwissenschaft und Tontechnik. Er dissertiert im Augenblick an der Komissionfür Schallforschung über das Thema: Schwerhörigkeit undMusik und die Auswirkungen auf die Praxis.