Saitenweise.  . . . . . . . . . .30. Juli 1998 . . . . . . . . . . Nummer 6

Neue Musik

Die Revolution aus dem Inneren

Der Versuch, festgefahrene Hör- und Denkweisen zu erschüttern, oder „Musik als subversive Kraft”. Ein Einblick in Leben und Werk des italienischen Komponisten Luigi Nono (1924-1990). Von Marcel Reuter, einem Komponistenkollegen des Forums „Gegenklang“.

Luigi Nono

Der 1924 in Venedig geborene Komponist Luigi Nono gilt als eine der faszinierendsten und einflußreichsten Musikerpersönlichkeiten der zweiten Jahrhunderthälfte. Seine Werke und sein Musikdenken sind in ihrer Eigenständigkeit besonders stark von seinen politischen Überzeugungen, aber auch durch die Erfahrungen seiner Studienjahre geprägt worden. In der Tat ist Luigi Nonos Weg hin zur Musik ein relativ ungewöhnlicher. Nachdem er bis 1946 Rechtswissenschaft in Padua studiert hatte, gelangte er auf Anraten Malipieros zu dem Komponisten und Dirigenten Bruno Maderna. Mit Maderna studierte Nono intensiv die Werke der italienischen Renaissance-Komponisten, die Komponisten der franko-flämischen Schule sowie die kompositionstheoretischen Schriften dieser Zeit und verglich sie mit Musik aus der jüngeren Vergangenheit. Dieses Aufspüren von Analogien zwischen Komponisten der älteren und neueren Musikgeschichte ist der Grund für Nonos sehr persönlichen und lebendigen Umgang mit der musikalischen Tradition.

Die Nachkriegsjahre: am Nullpunkt der Musik? 1950 tritt Luigi Nono zum ersten Mal als Komponist in die Öffentlichkeit. Der deutsche Dirigent Hermann Scherchen, den Nono 1948 anläßlich eines Dirigierkurses in Venedig kennengelernt hatte, führt sein Werk „Variazioni canoniche sulla serie dell’op.41 di Arnold Schönberg“ bei den Darmstädter Ferienkursen auf. Im Laufe der fünfziger Jahre werden einige wesentliche Unterschiede zwischen Nono und den führenden Komponisten seiner Generation deutlich. Einer dieser Unterschiede ist das bereits erwähnte Verhältnis zur Tradition. Boulez und Stockhausen sahen die Nachkriegsjahre als einen Neubeginn an. Man wollte eine gänzlich neue, in sich schlüssige Musiksprache erfinden, ohne auf den „Scherbenhaufen“ der Musikgeschichte zurückzugreifen. Ein möglicher Ausgangspunkt war das Werk Anton Weberns. Nono hat Boulez und Stockhausen später ihr einseitiges, mathematisch-statistisches, den historischen Kontext ignorierendes Verständnis Weberns vorgeworfen.

Er selbst ging einen anderen Weg: Er verwendete Kompositionstechniken, die besonders im rhythmischen Bereich von Methoden der Komponisten der Notre-Dame-Schule, und der Ars Nova beeinflußt waren. Sein Ausgangsmaterial war oft, wie zum Beispiel bei den „Variazioni canoniche“ ein der musikalischen Tradition entnommenes. Gelegentlich griff er auch auf europäische, und außereuropäische Volksmusik zurück.

Die Basis von „Polifonia- Monodia-Ritmica“ (1951) bildet ein brasilianischer Jemanda-Gesang, in „Y su sangre ya viene cantando“ (1952) verwendet er andalusische Rhythmen. Politisches Engagement Die Tatsache, daß Nono die musikgeschichtliche und, in mehreren Fällen, ideologische Bedeutung seines musikalischen Materials nicht nur akzeptiert sondern auch thematisiert, hat eine politische Ursache. Nono tritt 1952 der kommunistischen Partei Italiens bei und sieht sich fortan als engagierter Künstler, dem es darum geht, seine Überzeugungen, die Botschaft, die er mitteilen will, mit seinen künstlerischen Mitteln in Einklang zu bringen. Die Werke der 60er Jahre beziehen sich zum Teil sehr direkt auf die politische Aktualität. So verwendet Nono zum Beispiel Texte des „Harlem Progressive Labor Club“ in „Contrapunto dialettico alla mente“ (1967/68), Briefe von Che Guevara in „Y entonces comprendio“ (1969/70). „La Fabricca illuminata“ (1964) ist ein zentrales Werk dieser Schaffensperiode. In diesem Stück für Stimme und Tonband benützt Nono als Textgrundlage Gedichte von Cesare Pavese und Giuliano Scabia sowie Fragmente aus Diskussionen mit Fabriksarbeitern und kombiniert diese mit Fabriksgeräuschen. Typisch für Nonos Behandlung der Singstimme ist hier, wie in vielen anderen Werken, das konsequente Ausloten und die Erweiterung ihrer Ausdrucksmöglichkeiten: Gesang, Sprechen, Flüstern, geräuschhaftes Einatmen, usw.

Der spätere Nono

In der Zeit zwischen Nonos zweiter Oper „Al gran sole carico d´amore“ (1974) und seinem letzten Werk, dem Violinduo „Hay que caminar sonando“ (1989) vollzieht sich eine Abkehr von der eher militanten Formulierung der politischen Botschaften. Nono bleibt seinen politischen Idealen, seinem Engagement innerhalb der kommunistischen Partei treu, doch diese werden durch einen subjektiveren Ansatz relativiert. Nono geht es vor allem darum, sich selbst ständig in Frage zu stellen, um so die Revolution „aus dem Inneren heraus“ zu vollziehen, wie es Hölderlin, dessen Werk Nono sehr stark prägte, in seinem Roman „Hyperion“ verlangte. Darüber hinaus soll dieselbe Revolution aus dem Inneren, dieselbe „Verunsicherung“ vom Hörer selbst vollzogen werden.

Nonos politisches Engage- ment entwickelt sich somit in dieser Schaffensperiode zu einem Punkt, wo Komponieren und idealerweise das Musikhören zu einer subversiven Tätigkeit werden. Der Versuch, festgefahrene Hör- und Denkweisen zu erschüttern, äußert sich musikalisch in vielfältiger Form: die Vorliebe für mehrdeutige, fragmentarisch anmutende Formen, das Einbeziehen des Raumes mit seinen akustischen Besonderheiten, die ungewohnte, das Geräuschhafte nicht ausschließende Behandlung traditioneller Instrumente und ihre Konfrontation mit elektronischen Mitteln...

Wichtige Werke dieser Periode sind u.a. „Fragmente-Stille, an Diotima“ für Streichquartett sowie die Oper „Prometeo. Tragedia dell´ ascolto“ (1981-85).


made by Werner Goebl, 12.08.1998