Saitenweise.  . . . . . . . . . .30. April 1998 . . . . . . . . . . Nummer 5

Interview

Das Hugo Wolf Quartett Wien

Ein Trapezakt ohne Netz

Der zweite Teil des Interviews mit dem Hugo Wolf Quartett. Von Konzertbetrieb bis Wettbewerb und Broterwerb.
Das Gespräch führte Florian Wilscher

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Habt Ihr bestimmte Vorlieben bezüglich der Auswahl der Literatur, oder ist das ganz breit gestreut?
Florian Berner: Also da muß man schon sagen – die gesamte Quartettliteratur von Haydn bis in die zeitgenössische Musik ist so großartig, daß es schade wäre, Vorlieben zu haben! Und auch keine speziellen Abneigungen?
Régis Bringolf: Also, es gibt schon moderne Stücke, die so vollkommen reaktionär sind, daß wir keine Lust und keinen Spaß haben, so etwas zu spielen.
Berner: Schon, – aber ich mein’, du hast als Quartettspieler das Glück, daß du dich eigentlich dein Leben lang nur mit 1A-Komponisten beschäftigen kannst – wirst eh’ nicht fertig!

Woran kann man Eurer Meinung nach das Hugo Wolf Quartett erkennen, wenn man es nicht sieht, sondern nur hört? – Kann man das überhaupt?
Martin Edelmann: Erstmal können wir das nicht so beurteilen, und zweitens muß man sich auch darüber im Klaren sein, daß das eine ziemlich langwierige Entwicklung ist – eben auch eine Persönlichkeitsentwicklung – genauso wie jeder Mensch mit dem Alter einfach, wenn er sich mit sich selber und mit seinem Umfeld beschäftigt, vielmehr er selbst wird. Genauso tut das auch ein Ensemble und ich mein’, nach dreieinhalb Jahren wäre es meiner Meinung nach ziemlich vermessen, zu behaupten, man hat diesen eigenen Klang schon gefunden – man ist auf der Suche – und ich glaube, man bleibt auch ein Leben lang auf der Suche danach und arbeitet immer weiter in diese Richtung!
Jehi Bahk: Wenn man jetzt irgendwie versucht, eine bestimmte Art von Vibrato oder Bogenstrich zu machen, wäre das glaub’ ich falsch – das entsteht einfach, wenn man richtig arbeitet.
Berner: Also wenn ich ein Quartett erkenne, dann sind das meistens irgendwelche Eigenheiten der ersten Geige. Erstens spielt die erste Geige am häufigsten die Haupstimme und zweitens ist für jeden Menschen das, was oben ist am leichtesten zu hören – ich denke da nur an Brainin (erster Geiger des Amadeus Quartetts; Anm. d. Red.) mit seinem langsamen Vibrato, und Pichler (erster Geiger des Alban Berg Quartetts; Anm. d. Red.) hat auch einen sehr speziellen Klang – sowas kann man schon erkennen! Bahk: Einige Leute haben uns schon gesagt, daß man unsere Lehrer – die Schule – heraushört. Das prägt natürlich schon und geht auch ins Klangliche!
Bringolf: Ich meine, ein amerikanisches Quartett klingt sicher anders als ein europäisches!

Wie viele Konzerte habt Ihr so im Jahresschnitt?
Bahk: 1997 hatten wir zirka 30 bis 35 Konzerte.
Berner: Ich würde das so beantworten: Wir haben im Moment den Luxus, da wir ja auch in der Zeit sind, Repertoire aufzubauen, wenige, aber sehr gute Konzerte zu spielen, wie bei der Schubertiade Feldkirch, im Konzerthaus, im Mozarteum, beim Carinthischen Sommer und so weiter.
Bringolf: Aber wir haben vor, in der nächsten Saison mehr Konzerte zu spielen!

Welche Pläne hat das Hugo Wolf Quartett für die Zukunft?
Bahk: Also, wir haben natürlich einige Projekte laufen: Die Schubertiade – schon zum vierten Mal – und dann haben wir diese sehr schöne Sache bekommen mit „Rising Stars“ – das ist eine internationale Konzertserie, wo wir jetzt Österreich vertreten.
Berner: Das ist ein Zyklus der großen Konzerthäuser in Paris, NewYork, Amsterdam, Köln, Wien...
Bahk: Wir haben da bis jetzt fünf Konzerte fix, und zwar in Brüssel , Athen, Köln, Amsterdam und Wien – insgesamt sind es 15 oder 16 Konzerte.
Berner: Da kommt man dann einmal wirklich in die schönsten Säle hinein.
Bahk: Und dann hoffentlich immer wieder. Man muß eben so gut spielen, daß man wieder eingeladen wird – das ist natürlich das Ziel, aber auch das Risiko, wenn man selbständig ist!

Und was ist mit Wettbewerben?
Berner: Eventuell, was interessant wäre, ist Osaka 1999...
Bahk: ...beziehungsweise Banff in Kanada. Einfach, um einen Markt, der sehr weit weg ist, erschließen zu können.
Bringolf: Vorausgesetzt, daß man gewinnt, oder zumindest einen Preis macht!
Berner: Die Konkurrenz ist natürlich sehr groß, vor allem auch deswegen, weil die Quartettwettbewerbe sehr selten stattfinden – so alle drei oder vier Jahre.
Edelmann: Vor allem sind es viel weniger Wettbewerbe als Geigen- oder Klavierwettbewerbe. Ich meine, in Europa hast du eigentlich drei wichtige Streichquartettwettbewerbe – abgesehen vom ARD-Wettbewerb, der ein Eigenrenommee hat, weil’s eben der ARD-Wettbewerb ist. In Kanada hast du Banff, und das in Osaka ist ein bißchen so ein Newcomerwettbewerb, der für den Markt entscheidend ist. Das sind eigentlich schon die entscheidenden Wettbewerbe – Schluß, aus! Wenn du überlegst, was du an Geigen- oder Klavierwettbewerben hast – das ist eine Inflation der Superlative!
Bahk: Das ist dann natürlich für einen Konzertveranstalter sehr schwer, wenn er plötzlich 1000 erste Preise hat – das verliert eigentlich jeden Sinn.
Bringolf: Wenn man die Möglichkeit hat, ohne Wettbewerbe in den wichtigen Sälen zu spielen, ist das natürlich wunderbar. Aber wenn man diese Möglichkeit nicht hat, dann muß man eben überlegen, durch Wettbewerbe diesen Markt zu erreichen!
Bahk: Man erhöht seine Attraktivität und den Marktwert – das ist eigentlich das Ziel eines Wettbewerbs.

Eine letzte Frage noch: Kann man vom Quartettspiel leben?
Bringolf: Es ist so: Wenn man professionell Quartett spielen will, dann muß man davon leben können, weil man sonst nicht mehr auf dem Niveau spielen kann, das erwünscht ist...
Berner: ...du kannst nicht einen Orchesterjob daneben haben und professionell Kammermusik machen, weil es sich zeitlich und qualitätsmäßig nicht rechnet!
Edelmann: Einfach mit 32 oder 35 zu sagen, okay, das war’s, ist eigentlich ziemlich schlimm, denn du bekommst keine einzige Einladung für ein Orchesterprobespiel – dich lädt niemand mehr ein!
Bringolf: Es ist ein Teufelskreis – man muß soweit kommen, daß man davon leben kann!
Bahk: Das Quartettspielen heutzutage kann man eigentlich als einen Trapezakt bezeichnen – ohne Netz!!

Das Hugo Wolf Quartett Wien

Das Ensemble formierte sich im Jahre 1993 an der Wiener Musikhochschule. In den folgenden zwei Jahren widmeten sich die vier jungen Musiker – der Wiener Jehi Bahk, der Schweizer Régis Bringolf, der aus dem Schwarzwald stammende Martin Edelmann und der Wiener Florian Berner – unter der Anleitung von Günter Pichler der gemeinsamen Ausbildung. Zusätzlich absolvierten sie Meisterkurse bei Norbert Brainin (Amadeus-Quartett) und Walter Levin (LaSalle-Quartett), die mit Preisen verbunden waren; weitere Lehrer waren Valentin Berlinsky (Borodin-Quartett) und der Komponist György Kurtág. Mit dem Gewinn des ersten Preises beim Internationalen Wettbewerb für Streichquartette in Cremona und dem anschließenden Debut im Wiener Konzerthaus begann das Quartett seine internationale Karriere. Weitere Einladungen, u.a. zur Schubertiade Feldkirch, zum Carinthischen Sommer und an das Salzburger Mozarteum sowie in europäische Staaten und in die USA folgten. Seit 1994 trägt das Ensemble den Namen "Hugo Wolf Quartett", der ihnen von der Internationalen Hugo Wolf Gesellschaft zuerkannt wurde. Diese Auszeichnung sowie auch ein weiterer erster Preis beim nationalen Wettbewerb "Gradus ad Parnassum" und der Preis der Wiener Philharmoniker zeugen von der außergewöhnlichen musikalischen Qualität dieses jungen Ensembles. Drei Instrumente wurden den Musikern von einem Privatmäzen zur Verfügung gestellt: Die Violinen von J. B. Guadagnini "ex A. Busch" (Torino, 1783) und G. Cappa (Sallzuuo, 1697) und das Cello von N. Gagliano (Napoli, 1819). Die Viola wurde von C. A. Testore (Milano, 1729) gebaut.


made by Werner Goebl, 11.05.1998, last update 14.05.1998