Saitenweise.  . . . . . . . . . .30. April 1998 . . . . . . . . . . Nummer 5

Musikgeschichte

Kommen wir zurecht mit Brecht?

Wir schreiben das Jahr 1998. Brecht, Brecht und nochmals Brecht! Wo man hinschaut: Brecht! Soweit das Auge reicht. Ja, Brecht in aller Munde, Ohren und Augen! Eine Annäherung von Monika Huber.

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Kaum einer hat nicht schon in der Schule seinen ersten Brecht gelesen. Ist jedoch das anfängliche Unverständnis schon der Erleuchtung gewichen? Seien wir uns einmal ehrlich, wer von uns hat diesen herausragenden Schriftsteller unseres Jahrhunderts bejahend und verstehend gelesen? Schuld daran ist wohl unter anderem auch das herrschende Unwissen von seiner Auffassung über Theater. Es gibt allerdings einige Begriffe in seinen “Schriften zum Theater”, die Einblick in seine Welt gewähren. In einem Atemzug mit Brecht wird das sogenannte epische Theater erwähnt. Zu dieser Erklärung bedarf es einige Schritte in der Geschichte zurück in die Antike. Nach Aristoteles kann eine Fabel, also der Stoff einer Dichtung, entweder episch (Behandlung eines Soffes in erzählerischer Form) oder dramatisch (in darstellender Form) vorgetragen werden. Die Fabel stellt als Gesamtkomposition aller gestischen Vorgänge, Mitteilungen und Impulse für das Publikum, die Seele des Dramas dar. Bei Brecht allerdings ist die Fabel nicht Ursache des Geschehens, nicht Schicksal, sondern die Charaktere können freien Willens in den Lauf der Handlung eingreifen. Das epische Theater soll produktives Zuschauerverhalten provozieren. Der Zuschauer muß dem Ereignis auf der Bühne distanziert begegnen und sich fragen können: Hätte sich das auch anders abspielen können? Das Ziel von Brechts Spielweise und Dramaturgie ist, anstatt aristotelischer Einfühlung in das Geschehen auf der Bühne, kritisches und urteilendes Mitdenken, aus dem gesellschaftsverändernde Handlungen wachsen können. Das epische Theater ist also ein bewußter Gegensatz zum “Kulinarismus” des bürgerlichen Illusionstheaters. Es ist kontrovers, ja spaltet geradezu den Zuseher, die Gefühle werden unter Kontrolle behalten, der Verstand herausgekehrt. Um das zu erreichen, bedient sich Brecht des Verfremdungseffekts: “Das Selbstverständliche wird in gewisser Weise unverständlich gemacht, das geschieht aber nur, um es dann umso verständlicher zu machen.” Wollte man z.B. das Automobil neu erfahren, so könnte man sich die Definition als “flügelloses, auf dem Boden kriechendes Flugzeug” vorhalten. Laut Brecht ist der Verfremdungseffekt nötig, um ein Spannungsverhältnis zwischen dem Schauspieler, der dargestellten Person und dem Publikum herzustellen. Dadurch wird im Zuseher sowohl eine kritische Haltung als auch Neugierde geweckt. Musik und Brecht? Musik in diesem System scheint im ersten Augenblick unmöglich, und doch soll Brecht einmal gegenüber Hanns Eisler gesagt haben, daß Musik seine Worte aufhebe wie der Bernstein die Fliege. Tatsächlich hat sich kaum ein anderer Schriftsteller des 20. Jahrhunderts so sehr mit Musik in seinen Werken befaßt wie Brecht. Schon in seiner Jugend trug er selbstverfaßte Lieder mit Begleitung seiner Gitarre vor. In den 20er Jahren ergab sich dann die so erfolgreiche Zusammenarbeit mit Kurt Weill und Hanns Eisler. Das bis heute bekannteste Werk ist sicherlich die “Dreigroschenoper”, die Brecht als die erfolgreichste Demonstration des epischen Theaters bezeichnete. Dazu griff er die deutsche Übersetzung von “The Beggars Opera” (1728) von John Gay auf, und wandte sich an Kurt Weill, der ebenso eine kritische Einstellung zum bürgerlichen Opernbetrieb und dessen Tradition hatte. Brecht dazu:“Was die Dreigroschenoper betrifft, so ist sie, wenn nichts anderes – eher ein Versuch, der völligen Verblödung der Oper entgegenzuwirken.” In diesem musikalischen Theater verfremden sich Text, Musik und Szene gegenseitig, und so wird das gewöhnliche, alltägliche Verhalten als ändernswerte Befremdung gezeigt. Brechts Musik soll das Rationale sowie die Einsicht in soziale Umstände klarer machen. “Die Dreigroschenoper” sollte als gesellschaftskritisch an den bürgerlichen Ideologien kratzen, zu Brechts Bedauern jedoch gab es gerade im bürgerlichen Theater die größten Erfolge durch Plattenaufnahmen, Verfilmungen und dem “Dreigroschenroman”. Bis heute, und gerade 1998, zu seinem 100. Geburtstag, versuchen zahlreiche Veranstaltungen, neues Licht auf Brecht zu werfen und sein episches Theater zu realisieren. Ob allerdings der Zuschauer auch bereit ist, die Forderungen und Ansprüche, die an ihn gestellt werden, zu erfüllen, sei dahingestellt. Es bleibt die Frage: Kommen wir zurecht mit Brecht? ¨

Bert Brecht:

1898 Am 10. Februar wird Bertolt Brecht in Augsburg geboren. 1917 Kriegsdiensthelfer, anschließend Studium der Medizin, in den 20er Jahren als Dramaturg in München und als Spielleiter in Berlin tätig. 1933 emigriert er über Zürich und Paris nach Schweden und letztendlich (1935) über Moskau in die USA. In diesen Jahren Zusammenarbeit mit Komponisten wie Kurt Weill, Hanns Eisler, Bekanntschaft mit Max Reinhardt, Arnold Schönberg, Theodor W. Adorno und Charlie Chaplin. 1947 Rückkehr nach Europa (Ostberlin/DDR), dort als Regisseur seiner Stücke tätig. Seine polit. Haltung bezüglich des Kommunismus war und ist umstritten. 1950 Österr. Staatsbürger 1956 Am 14.August stirbt Bertolt Brecht nach einem Herzinfarkt Bertolt Brecht schrieb Gedichte, Balladen, zahlreiche Dramen sowie theoretische Schriften zur Dramaturgie des epischen Theaters und Prosa. Dramat. Hauptwerke (Auswahl): Die Dreiroschenoper (1928) Die Hl.Johanna der Schlachthöfe (1929/30) Mutter Courage und ihre Kinder (1939) Der kaukasische Kreidekreis (1944/45)


made by Werner Goebl, 11.05.1998, last update 14.05.1998