saitn_kl.gifSAIT_NO3.GIF 29. Juli 1997

Kommentar

Außenseiter?!

Gedanken zur Außenseiterrolle der zeit-genössischen Musik in der musikalischen Basisausbildung von Florian Wilscher

Wer schon einmal versucht hat, zeitgenössisches Unterrichtsmaterial bzw. Kammermusikliteratur für den Musikschul- oder auch Privatunterricht zu erstehen, wird mir bestätigen können, daß dies ein nahezu aussichtsloses Unterfangen darstellt.

Tatsache ist: es gibt fast kein Notenmaterial zeitgenössischer Komponisten, das sich im (Kammer)musikunterricht mit Kindern und Jugendlichen realisieren läßt. Dafür mag es – seitens der Komponisten – durchaus verständliche Erklärungen geben:

Erstens bedeutet es sicherlich eine große Einschränkung für jeden Komponisten, die spieltechnischen Möglichkeiten eines Instruments nur sehr begrenzt ausschöpfen zu können bzw. kammermusikalisch vielleicht nicht ganz so komplex wie gewohnt schreiben zu können (Was natürlich auch eine Herausforderung sein könnte!).

Und zweitens ist es der Karriere eines aufstrebenden Komponisten im Normalfall zuträglicher, kompositorisch uneingeschränkt Werke zu schreiben, die von professionellen bzw. arrivierten Musikern in möglicherweise vielbeachteten Konzerten interpretiert werden, als für ein Musikschul-ensemble zu komponieren!

Andererseits aber wird allerorts darüber geklagt (allen voran die Komponisten), daß so wenig Interesse an zeitgenössischer Musik besteht, daß immer nur dieselben Leute zeitgenössische Konzerte besuchen, und daß die zeitgenössische Musik überhaupt nur ein Außenseiterdasein im heutigen Musikleben führt – es werde dieser Musik so wenig Verständnis entgegengebracht, sie werde im Vergleich zu anderen Musikrichtungen so selten aufgeführt, etc. ...!

Ich möchte mich diesem Lamento aber nicht anschließen, denn ich bin ganz überzeugt, daß man diesen Zustand nur dann gravierend ändern und die zeitgenössische Musik auf eine viel breitere Basis stellen kann, wenn man schon in der Ausbildung an den Musikschulen einen aktiven Zugang zu dieser Musik ermöglicht – das heißt, wenn man nun endlich daran geht, nicht mehr nur für eine Elite von Professionalisten, sondern für wirklich jedes Ausbildungsniveau (vom Anfänger bis zum Studenten) zu komponieren – und zwar Unterrichtsmaterial, wie auch Kammermusikliteratur und Orchesterwerke!

Die Spitze ist schon versorgt, aber es gibt noch keine Wegweiser

Meines Dafürhaltens gehört die zeitgenössische Musik genauso selbstverständlich in die gesamte musikalische Ausbildung und ins gesamte (Musik)leben eingebunden, wie alle anderen Musikrichtungen – nur so kann sie verständlicher werden!

Wenn nämlich wie bisher, die aktive Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Musik im Regelfall erst dann möglich ist, wenn man eine Musikhochschule oder ein Konservatorium besucht bzw. technisch besonders begabt und fortgeschritten ist, dann wird sich an der momentanen Situation kaum etwas ändern, und die zeitgenössische Musik wird immer am Rande stehen!

Daher mein Appell an alle Komponisten: An Euch liegt es in erster Linie diese Situation zu verbessern, Ihr müßt beginnen. Es gibt gegenüber anderen Musikrichtungen viel aufzuholen – ein riesiges Terrain ist ungenützt. Komponieren, nicht lamentieren – das ist die Devise! Schreibt nicht nur für einen verschwindend kleinen Musikerkreis – nützt doch jede Möglichkeit, Eure Musik den Menschen näher zu bringen, denn wenn Musik, wenn eine Komposition, ein Komponist wirklich etwas zu sagen hat, dann werden es auch diejenigen verstehen, die zeitgenössische Musik nicht zu ihrer Hauptbeschäftigung gemacht haben.

Was fehlt, ist einfach das Fundament, das einen breiten und verständlicheren Zugang zu dieser Musik ermöglicht, – die Spitze ist schon versorgt, aber es gibt noch keine Wegweiser! ¨

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