saitn_kl.gifSAIT_NO3.GIF 29. Juli 1997

Musiktheater

Oft läge die Würze in der Kürze

Sie sind mit ihren rund 1000 Veranstaltungen in sechs Wochen an Aufwand und kulturellem Umfang das größte europäische Festival: die Wiener Festwochen. Ein kurzer Querschnitt dieser Veranstaltungsreihe, für saitenweise zur Verfügung gestellt von Irene-Marianne Kinne

Von Mitte Mai bis Ende Juni ist hier die Welt zu Gast, aber auch betreffs Eigenveranstaltungen lassen sich die Festwochen nicht lumpen. Zur Halbzeit haben sie bereits 24 Millionen Schilling eingespielt, und ihr größter Hit war eindeutig “Stomp” von Luke Cresswell und Steve Mc Nicholas, diese Symphonie himmlischen Höllenlärms unter Zuhilfenahme von Mülltonnen, Blechbüchsen und sämtlicher Küchengeräte, basierend auf furiosem Rhythmus, blendender Choreographie und witziger Virtuosität von acht Künstlern.

Schubert in Noten und Tönen

Neben einer Ausstellung im Museum der Stadt Wien – sämtliche Werke Schuberts auf hängenden, beweglichen Plastiktafeln notiert – sollte sein szenisches Werk ein Schwerpunkt der Festwochen sein. Doch da gab es Enttäuschungen. Zwar schallte am Eröffnungstag “Am Brunnen vor dem Tore” aus 20 000 Kehlen, angefeuert von Christa Ludwig, über den stimmungsvoll erleuchteten Wiener Rathausplatz, doch der anfängliche Jubel wich höflichem Achtungsapplaus anläßlich dreier Schubert-Opern, von denen die “Zauberharfe”, besser deren nur noch vorhandene Fragmente, von Heinz Holliger und den Wiener Symphonikern liebevoll aufbereitet, nur konzertant in szenisch angedeuteten Simultanauftritten dargeboten wurde.

Austausch Zürich – Wien

Schuberts “Des Teufels Lustschloß”, Gastspiel des Opernhauses Zürich, ist ein matter Abklatsch der “Zauberflöte” mit einer Reihe von Prüfungen, die der Onkel für den Ehemann der Nichte arrangiert, um dessen Standhaftigkeit und Treue zu testen. Ein naives Märchen zwischen Blumenmädchen und lüsterner Amazone (Adrienne Pieczonka), einer beseelt klagenden Gattin (Eva Mei), die um ihre Hochzeitsnacht gebracht wird und einem wackeren Diener (Robert Holl), der hervorragend singt und säuft und sie natürlich zuletzt auch mit Zustimmung des Onkels in Oswalds Armen (Rainaldo Macias in Schubert-Maske) landen läßt. In M. A. Marcellis märchenhafter Regie amüsiert manches: der Pferdekutschen-Unfall im strömenden Regen, der romantische Horrorpalast mit seinem Höllenspuk, die Ritterduelle und der im Käfig eingesperrte Ehemann. Alles Geschehen in Blitz und Donner, in schummrigen Farben, kann aber selbst Nikolaus Harnoncourt mit seinem oft heftig, aber effektvoll musizierenden Orchester nicht retten. Das Genre Oper war Schuberts Stärke nicht, aber als er diese Oper schrieb, war er ja auch erst 17Jahre alt!

Nur am Libretto gescheitert?

Als Koproduktion geht Schuberts “Alfonso und Estrella” nun nach Zürich. Man hätte ihm ein besseres Libretto als das seines Freundes Franz v. Schober gewünscht. Jürgen Flimm (Regie) und Nikolaus Harnoncourt bemühen sich, hinter der biederen Idylle eine Welt voller Haß zu zeigen und aus einem Rittermärchen ein modernes Drama zu formen. Sie widerstehen der Versuchung billiger Aktualisierung und interpretieren das Werk, wie es Schubert gemeint hatte. Mit einer gewissen Naivität in Erich Wonders düster-unheilvollen Bildern erzählen sie vom Haß zweier alter Könige, die einander bekriegen, von wechselndem Schlachtenglück an einem fiktiven Hochgebirgsort, von der Liebe zweier Königskinder und der schließlichen Versöhnung der greisen Väter. Obwohl perfekt gesungen wird (Thomas Hampson, Olaf Bär, Alfred Muff geben die Senioren-Feldherren), etwas blasser dagegen die Titelhelden (Luba Orgonasova und Endrik Wottrich), obwohl Harnoncourt durch abrupte Tempowechsel und oft hektisch unterbrochene Kantilenen Farbe in redseligen Klangfluß zu bringen sich nicht scheut, obwohl der Chor prachtvoll intoniert, Schubert selbst sensibel und symphonisch paraphrasiert – Dramatik und Spannung gelingen nur begrenzt. Die große Oper war das nicht – und das ist nicht nur Schuld des biederen Librettos. Wagner war einfach fällig.

Händels Theaterpranke?

Mit großem szenischen Aufwand soll 1735 Händels “Alcina” in Covent Garden über die Bühne gegangen sein. Die Sage von der Zauberin, die ihre Liebhaber in Pflanzen und Tiere verwandelt, ehe sie selbst der Liebe erliegt, wurde eine der erfolgreichsten Opern Händels. Diese 1994 in Zürich gezeigte und mit Lobeshymnen bedachte Produktion erfüllt nicht ganz die in sie gesetzten Erwartungen. Jürgen Flimms Grauprojektionen eines fenstervergitterten Innenraums, das Podium aus Eisenstangen, die rohe Fahrtreppe, dazu die fast ausschließlich dunkel gehaltenen Kostüme der Darsteller ermüden ungemein, zumal sie im Personenverwirrspiel nicht auseinanderzuhalten sind. Einzig das eingeblendete Gaze-Zelt und ein durchsichtiger Kubus, sowie brennende Gefäße in dunkler Nacht geben etwas vom versprochenen Zauber, von der Magie des Geschehens, zu dessen Belebung auch das barocke Tanzensemble in Weiß beiträgt. Doch der Raubtierkäfig mit dem schüchtern hervorlugenden Bärenkopf gibt nur einen Abglanz barocker Inszenierungskunst. Alle szenische Dezenz überragen zwei Solisten: die zu Herzen gehende, überaus intensive Gestaltungskraft und der wundersame Gesang von Ann Murray (Ruggiero) und Bo Skovhus, ein plastischer, dramatischer Melisso. Als Alcina mangelt es der etwas schmalstimmigen Eva Mei (endlich einmal ein herausleuchtendes rotes Prachtgewand) an dominanter Persönlichkeit, während Isabel Rey, Yvonne Naef, Elisabeth Magnussen und Roberto Sacca als erstaunlich perfektes junges Ensemble mit dem Arnold-Schönberg-Chor Händel elegant musizieren. Immer auf Effekte bedacht, oft willkürlich, allerdings belebend: Nikolaus Harnoncourt und sein Concentus Musicus. Trotz kürzenswerter Länge: die Begegnung mit Händels Musik fasziniert.

Sein Lebenstraum

Mit Lewis Carolls “Alice im Wunderland” wollte sich Peter Zadek seinen Kindertraum erfüllen. Johannes Grützke schuf dafür die einfachen, aber durchaus passenden Prospekte, simplen Verwandlungen und etwas unförmigen Tierkostüme. Die Wunderland-Expedition der immer kleiner und wieder größer werdenden Alice (keck und altklug: Deborah Kaufmann) wäre erfolgreich gewesen, hätten sich nicht gewichtige, aber namhafte Schauspieler der Münchner Kammerspiele in plumpe Tiergewänder zwängen müssen, deren gräßlichste Fehlbesetzung das plärrende Kaninchenmonster (Paulus Manker) darstellte. Viel zu lang die sinnlosen, geschwollenen Dialoge, konfus die Übersetzung (Enzensberger), die keines der immer unruhiger werdenden Kinder interessierte. Einzig der kauzige alte, ständig vom Pferd purzelnde Ritter (Thomas Holtzmann), leider ganz am Schluß, rechtfertigte das tapfere Ausharren.

Kurioses am Rande

Heiner Goebbels’ Musiktheater “Schwarz auf Weiß” mit absurder Geräuschkulisse von Tennisbällen, gegen Blechwände geworfen, Wasserdampf-Zischen, Aufbauten von Alu-Leitern und Herabfallen von Pappdeckelrahmen, dazu einige aparte Beleuchtungseffekte, Silhouetten malend, und im Off die Stimme Heiner Müllers, die Edgar Allen Poes geheimnisvollen Todes- und Schattentext gleichsam als Requiem für sich selbst rezitiert. Aber – alles schon einmal dagewesen!

Bedeutender dagegen Luc Bondys Strindberg-Insze- nierung “Jouer avec le feu”, eine subtile Dreiecksgeschichte mit Zuschauern. Viel Spannung in einem scheinbar banalen Ehekrieg, großartig Emmanuelle Béart mit einem Geliebten (Thierry Fortineau), der entsetzt zurückweicht, als Ehemann Knut (Laiurent Grevill) das Spiel ernst zu nehmen beginnt. Vergnüglich der Ausflug in Arthur S.Sullivans Operette “Die Gondoliere”, eine Aufführung des Konservatoriums der Stadt Wien, Regie Lucia Meschwitz, mit ambitionierten jungen Sängern und gleichzeitig bravourösen Darstellern in aufwendigen Kostümen und elegantem Mobiliar des Bundestheaterverbandes. Pianisten an zwei Klavieren ersetzte ein ganzes Orchester und sorgten für temperamentvolle Nummernwiederholungen.

Die Lacher auf seiner Seite hatte zu mitternächtlicher Stunde Matthias Deutschmann (“Mein Name ist Auftrag und Verhängnis zugleich”) in seiner Konfrontation zwischen Deutschen und Österreichern:”Wenn das der Führer wüßte”. Mit der Feststellung, daß Politik in Wien “irgendwie beim Heurigen erledigt wird” und der neidvollen Behauptung, Österreich habe ja, im Gegensatz zu Deutschland, keine Vergangenheit, traf der immer ins Fettnäpfchen tretende “Piefke” den Nagel haargenau auf den Kopf.

Goethe – nicht immer Goethe

Im Auffinden unbekannter Stücke gefällt sich der Zürcher Stefan Bachmann. Goethes “Lila”, ein angeblich verschollenes Dramulett des Dichterfürsten, ist reine Erfindung und unbekümmerter Dilettantismus mit Lust an sprachlicher Künstlichkeit (akustisch kaum verständlich.) In Gruppenanalysen und therapeutischem Schnick-Schnack geht oft der gute Geschmack der kaum über Laienniveau hinausragenden Darsteller flöten.

Aufhorchen ließ dagegen Ronald Harwoods Stück “Der Fall Furtwängler”, spannend wie ein Krimi, von Helmut Griem mit berührenden Zwischentönen im Theater im Rabenhof inszeniert. Sieghart Rupp in der Titelrolle wahrt Würde in Original-Zitaten Furtwänglers. August Zirner zeichnet den banausenhaften amerikanischen Major im Entnazifizierungsverfahren, dem der Name Furtwängler nichts sagt, der lediglich die Nazis haßt. Ausgezeichnete Nebenrollen – ein Abend, der betroffen macht. Noch sind die Wiener Festwochen für einige Überraschungen gut!

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