Saitenweise.  . . . . . . . . . .30. Juli 1998 . . . . . . . . . . Nummer 6

Praxis

Bewegendes Lernen

Eine Betrachtung zu Inhalt und Anwendung der Moshé-Feldenkrais-Methode von Johanna Male

„Auf keinen Fall hat es etwas mit Gymnastik zu tun.“ „Du lernst deinen Körper kennen, seine Bewegungen und deren Möglichkeiten.“ „Du kannst dich entspannen, auf geradezu meditative Weise.“ „Es hat etwas mit Organisation zu tun, und mit Lernen.“

Baby

So mannigfaltig die Beschreibungen dessen, was einzelne Teilnehmer eines Feldenkrais-Seminars an Erfahrungen gewonnen haben, so schnell scheitern jegliche Versuche, auf einen Nenner zu bringen, was hier eigentlich unterrichtet wird. Feldenkrais... – dieser Name geistert ja nun schon seit einiger Zeit durch die Begriffswelt unserer Gesellschaft, sei es das Wochenende, an dem die Freundin wieder ein Mal keine Zeit hat, weil sie – du weißt schon – auf Seminar ist, seien es die Kursprogramme im Bildungsangebot von Volkshochschulen, Tanzstudios, Sportinstituten aller Art, oder seien es die zahlreichen Titel, die im Regal der Abteilung Körper-Geist-Seele im Bücherladen ums Eck ins Auge springen.

Also, was ist das nun, diese Methode, nach der du angeblich etwas über deinen Körper und dich selbst erfahren kannst? Die Tatsache, daß die Beschreibungen so viele verschiedene Richtungen einschlagen, läßt auf Grundsätzliches schließen: es kann sich hier nicht um eine Lehre handeln, die etwas vermittelt, das allgemeingültig und in gleichbleibender Form übertragbar ist. Moshé Feldenkrais entwickelte aus seinen Erkenntnissen auf dem Gebiet der Verhaltensphysiologie eine Lehre, die er 1968 unter dem Titel Bewußtheit durch Bewegung schriftlich erläuterte.

Er macht in diesem Buch augenscheinlich, daß die Persönlichkeit eines Menschen stark von dem Ausmaß geprägt ist, in dem er sich seines eigenen Körpers, dessen Bewegungs- und Ausdrucksmöglichkeiten bewußt ist. Bewußtsein über den eigenen Körper? Ja, wer hindert einen denn daran? Nein, hier ist nicht die Rede von einer mehr oder weniger verkrampften Haltung zu Mode, Sexualität, Gesundheit, usw. Hier geht es um unseren Körper als Universum vielfältigster Bewegungsvorgänge. Stillsitzen in der Schule, Fortbewegung nur nicht zu Fuß, Arbeiten hauptsächlich im Kopf – all das sind Faktoren, die dieses Universum zu einer fremden Welt machen, die zwar irgendwie dauernd existiert und auch zu funktionieren hat (nur nicht krank werden, ich hab’ jetzt keine Zeit für so was!), in ihren Strukturen aber immer undurchschaubarer wird.

Dabei sind es oft gerade unsere Bewegungen, über die wir unsere innere Haltung, unsere Emotionen und Befindlichkeiten ausdrücken! Wie oft wird man darauf hingewiesen, sich aufrechter zu halten, wenn man sicherer wirken will, wie wichtig ist ein ruhiger Gang auf die Bühne, um sich selbst zu ,,sammeln“, welch unangenehmen Eindruck hinterläßt ein allzu loser Händedruck.

All das sind Bewegungen, mit unseren Muskeln ausge- führt, von unserem Zentralnervensystem gesteuert. Oft sind wir so sehr verankert in gewissen Bewegungsabläufen, daß sie uns gar nicht mehr bewußt sind. Sie hängen aber unmittelbar zusammen mit unseren Befindlichkeiten und Gefühlszuständen, und zwar sowohl als deren Folge, als auch als Auslöser. Moshé Feldenkrais hat es sich zum Ziel gemacht, Menschen auf ihre eigenen Bewegungen zu sensibilisieren. Durch Übungen, die er in seiner Methode anbietet, soll es dem Einzelnen ermöglicht werden, seinen Körper und dessen Bewegungsabläufe genau zu beobachten, zu rekonstruieren und in ihrer Organisation zu durchschauen. Dies beginnt bei ganz ,,einfachen“ Aktivitäten, die jedem ,,im Schlaf“ – aber eben nur mehr da – bekannt und zu eigen sind. Auf dem Rücken liegen und feststellen, wie Hinterkopf, Rücken, Arme, Beckenbereich, Beine, Füße aufliegen, welche Teile weiter vom Boden entfernt sind, welche weniger weit, welchen Abdruck man im Sand hinterlassen würde, all das gibt Aufschluß über die Formungen der einzelnen Körperteile. Man entwickelt eine Vorstellung vom Gewicht etwa der Arme und Beine, und wenn einem schließlich bewußt wird, an welch verschiedenen Stellen jeweils Arme und Beine aufliegen, so entdeckt man die Asymmetrie des eigenen Körpers, den Unterschied zwischen rechts und links.

Allein diese Betrachtungen geben Aufschluß über die eigene Disposition, schärfen das Beobachtungsvermögen und machen einen vertrauter mit sich selbst. Versucht man nun, seinen Kopf vom Boden wegzuheben, so wird man – derart sensibilisiert – beobachten, wieviel Anstrengung dies von der Nackenmuskulatur erfordert. Feldenkrais regt nun dazu an, nach Möglichkeiten zu suchen, sich dies zu erleichtern – etwa, eine entsprechende „Gegenbewegung“ in einem anderen Bereich des Rückens oder Beckens zu machen, sich mit Armen oder Beinen zu helfen. Schließlich wird man auch auf die Frage kommen, ob und in welcher Weise auch die Atmung mit der Bewegung korrespondiert, sie unterstützt. Es geht nicht darum, die Bewegung in Form einer detaillierten Analyse aufzufächern, um sie dann in irgendeiner Kartei unserer Wissensansammlung als getilgt zu vermerken. Was hier rekonstruiert wird, ist eine Bewegung, die sich uns als vielschichtiger Vorgang unseres Organismus erschließt, so vertraut sie uns zunächst vorgekommen ist. Das Entdecken dieses Vorgangs haben wir schon einmal erlebt: als Kind. Die Art und Weise, auf die sich ein Kind Wissen aneignet, ist darauf ausgerichtet, die Gegebenheiten, also die äußeren Umstände (wie etwa die Schwerkraft) und die eigenen Fähigkeiten (Kraft, Balance) aufeinander so abzustimmen, daß das gesetzte Ziel in möglichst hohem Maße erreicht werden kann. Unannehmlichkeiten, wie zum Beispiel schmerzhafte Überdehnung oder Überlastung bestimmter Körperteile werden vermieden – ein Lernen in Schritten, ausgerichtet auf Erkennung und Ausschöpfung der eigenen Möglichkeiten. Im Feldenkrais-Kurs werden keine bestimmten Bewegungsvorgänge als richtig vorgegeben. Man wird darauf aufmerksam gemacht, daß es meist mehrere Möglichkeiten gibt, für jeden andere, und daß man vor der Wahl steht.

Man lernt längst gewohnte Muster kennen, wird angeregt, neue auszuprobieren, entdeckt das eigene Tempo, die eigenen Grenzen. Die Bewegungsabläufe, die in den einzelnen Übungen vorgegeben sind, führt jeder nach seinem Vermögen aus und spielt so lange mit seinen Möglichkeiten, wählt aus, korrigiert, findet neue Wege, bis die Bewegung zu seiner eigenen wird. Oft klingt das, was vorgegeben ist, zunächst sehr kompliziert. Schafft man eine Übung nicht auf Anhieb, so arbeitet man mit der Vorstellung. Nur das, was man sich im Geiste vorstellen kann, kann man auch ausführen. Auch das Beobachten von Anderen ist wichtiger Bestandteil im Lernprozeß. Das Körperbild, das durch einen solchen Sensibilisierungsweg erreicht werden kann, ist eines, das den realen Gegebenheiten entspricht. Man wird sich bewußt über das eigene Potential und kann dieses dadurch gut nützen, ohne es zuwenig oder zuviel zu fordern. Doch nicht nur der Körper wird hier in einem fortschreitenden Prozeß erschlossen, ein Kennenlernen spielt sich auch noch auf einer anderen Ebene ab: der Mensch beginnt, sein eigenes Lernen zu beobachten. Es ist dies ein Lernen, das nicht durch ständiges Wiederholen – pauken – verinnerlichen will. Es ist ein Lernen, das über den eigenen Weg des Herausfindens stattfindet.

Die Verinnerlichung geschieht über ein genaues Bild in der Vorstellung, das durch Schärfung des Bewußtseins, Öffnung der Sinne, Konzentration auf das Wesentliche und schließlich die eigene Überzeugung von Plausibilität des Gelernten entstehen konnte. Die Lehre, die Moshé Feldenkrais seinen Mitmenschen anbietet, verschafft ihnen einen Eindruck von dem, was sie in den ersten Jahren ihres Lebens als Lernende geleistet haben. Seine Methode findet ihre Anwendung nicht nur bei Musikern, Schauspielern und Sportlern, sondern auch im Krankenpflege- und Rehabilitationsbereich. Was sie vermittelt, muß jedoch keineswegs an einen bestimmten Zweck gebunden sein, sondern kann als persönliche Bereicherung empfunden werden: ein bewußtes Erschließen des eigenen Wahrnehmungsspektrums.


made by Werner Goebl, 12.08.1998